DAS HEILIGE EICHHÖRNCHEN
Es erscheint nicht sehr schlüssig, dass wir, die wir nach dem unsterblichen Ebenbild Gottes geschaffen sind, mit dem Tod aufhören zu existieren. Es ist auch nicht denkbar, dass unvollkommene Wesen beim Tod sofort in das Wesen Gottes übergehen können. Es liegt auf der Hand, dass wir, wenn wir durch einen vorzeitigen Tod in einem unvollkommenen Zustand abgetrennt werden, auf der Erde wiedergeboren werden müssen, um alle unsere Flecken abzuwaschen, bevor wir in Gott als Sein vollkommenes Ebenbild aufgehen können.
Menschen reinkarnieren sich sehr selten als Tiere. Das wäre Devolution statt Evolution. In einigen, wenigen Fällen kommt es jedoch vor, dass ein Mensch, der ein sehr brutales, animalisches Leben geführt hat, in den Körper eines Tieres gezogen wird, um eine Lektion zu lernen. Dies erklärt die "denkenden Hunde" und "denkenden Pferde", welche Wissenschaftler, die sie untersucht haben, vor ein Rätsel stellten.
Aber die folgende Geschichte bezieht sich auf ein weiteres Prinzip. Es heißt, dass ein großer Heiliger oder ein Lehrer, der hoch entwickelt ist, in einer oder mehr als einer Inkarnation absichtlich die Form eines Tieres annehmen kann. Um zu beweisen, dass Gott allgegenwärtig ist, haben einige Heilige nicht nur durch menschliche Vehikel, sondern auch durch die Vehikel niederer Tiere gewirkt, so wie Elektrizität sowohl im menschlichen Körper als auch in einer mechanischen Maschine fließen kann. Gott wirkt im Leben von Menschen, Tieren und Atomen; Heilige, die mit Ihm eins werden, zeigen, dass sie auch durch menschliche Körper, tierische Körper und Atome wirken können. Genau dies wurde von Jesus demonstriert, als er sein allgegenwärtiges Leben in den toten Körper des Lazarus legte. Er zeigte auch, dass er die Lebenskraft blockieren konnte, indem er den Feigenbaum unfruchtbar machte. Damit bewies er, dass er die Macht hatte, die Lebenskraft nach Belieben ein- und auszuschalten. Jesus, der die Atome beherrschte, speiste viele Menschen mit wenigen Broten. Der heilige Franziskus hatte Macht über Tiere, denn die Vögel gehorchten ihm und lauschten seinen Predigten oder flogen in Form eines Kreuzes davon. Ein bösartiger Wolf wurde freundlich und gab seine tödlichen Gewohnheiten auf – nur durch den göttlichen Einfluss des heiligen Franziskus, der mithilfe seines allgegenwärtigen Bewusstseins den schlafenden Gott im Wolf erweckte und sein Wesen veränderte.
So wie ein Heiliger Einfluss auf tierische Körper nehmen kann, so kann er sich in jede Art von Körper einhüllen oder sich darin inkarnieren. Die Schriften und die Literatur Indiens enthalten viele Geschichten über solche Inkarnationen. Ich hoffe also, der Leser versteht, worum es in dieser Geschichte über die Reinkarnation eines indischen Heiligen im Körper einer Eichhörnchenmutter geht. Dieser Heilige, der als Einsiedler lebte, liebte Eichhörnchenkinder so sehr, dass er sich als Eichhörnchenmutter inkarnieren wollte, um den hilflosen Kleinen seine mütterliche Zuneigung schenken zu können. Und so wurde dieser Heilige als heilige Eichhörnchenmutter wiedergeboren und lebte mit seinen winzigen Babys auf dem Wipfel eines Baumes am Meer. Die Gläubigen erkannten bald, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Eichhörnchen handelte, sondern dass der pelzige kleine Körper eine große Seele beherbergte, die sich reinkarniert hatte, um den Willen Gottes auch im Tierkörper zu zeigen. So erfuhren viele Menschen von dieser ungewöhnlichen Eichhörnchenmutter, und es heißt, dass derjenige, der sie fütterte, zu Wohlstand gelangte und von allen Leiden geheilt wurde.
Eines Tages, als das heilige Eichhörnchen sich auf der Suche nach Nahrung weit von der Küste entfernt hatte, peitschte ein Sturm hohe Wellen über den Ozean und fegte den Baum mit allen Eichhörnchenkindern hinweg. Als die liebende Mutter zurückkehrte, entdeckte sie das dunkle Werk des Meeres und befahl: "Ozean, gib mir meine Kinder zurück oder ich werde dich vernichten". Als das Meer ihre Warnungen ignorierte, sah man die Eichhörnchenmutter sieben Tage und Nächte lang ihren buschigen Schwanz ins Wasser tauchen und ihn dann über den Sand streichen. Beim Anblick dieser merkwürdigen, aber scheinbar zielstrebigen Tätigkeit erschien ein Engel Gottes und sprach: "Heilige Eichhörnchenmutter, von allen seltsamen Dingen ist deine Handlung, deinen Schwanz ins Meer zu tauchen und ihn darauf im Sand zu reiben, die seltsamste. Bitte nenne mir den Grund für dein seltsames Tun." Das Eichhörnchen antwortete: "Himmlischer Engel, das verwegene Meer hat meine Kinder in meiner Abwesenheit verschluckt und meiner Bitte, sie zurückzugeben, keine Beachtung geschenkt. Also habe ich mich dazu entschlossen, den Ozean trocken zu legen." Der Engel lachte und protestierte: "Aber, Mutter Eichhörnchen, in sieben Tagen hast du kein Haar mehr am Schwanz, mit dem du versuchen könntest, den Ozean trocken zu legen!" Aber die kleine Mutter, der die Entschlossenheit der Ewigkeit ins Gesicht geschrieben stand, antwortete: "Tausend Millionen Leben oder mehr werde ich immer wieder als Eichhörnchen geboren werden, und mir werden so viele buschige Schwänze wachsen, wie nötig sind, um den Ozean trocken zu legen." Mit diesen Worten setzte das heilige Eichhörnchen sein merkwürdiges Treiben fort.
Sieben Tage später waren die Haare ihres Schwanzes fast völlig verschwunden, und doch stellte die Eichhörnchenmutter ihre Arbeit nicht ein. Tatsächlich hatte der tatkräftige Wille – im Einklang mit dem göttlichen Willen, der bereits in früheren Inkarnationen in vollkommener Weise verwirklicht worden war – sie darauf vorbereitet, so lange damit fortzufahren, wie die Welt Bestand hat. Und so kam der Engel Gottes zurück und sprach mit gefalteten Händen: "Heiliges Eichhörnchen, dein Wille ist Gesetz; bitte höre damit auf, den Ozean zu bestrafen, und wir werden dir deine Kinder zurückgeben." Daraufhin kam die Eichhörnchenmutter zur Ruhe.
Wenn alle irdischen Methoden der Glückssuche versagt haben, seid nicht entmutigt, sondern erweckt eure schlummernde, alles erfüllende göttliche Entschlossenheit. Dann werdet ihr feststellen, dass die göttlichen Gesetze euch zwangsläufig das ersehnte Traumglück bescheren werden.
(aus: "Meistererzählungen" von Paramhansa Yogananda, deutsch von Thorsten Scheu, Verlag sprachlichter 2024)